Colonize my mind

Katrin Ströbel
Text zur Ausstellung Katrin Ströbel „Colonize my Mind“ Stadtgalerie Saarbrücken, 2016

Dass es in den Werken von Katrin Ströbel nicht vordergründig um die Flüchtlingskrise geht, die uns in diesen Tagen allseits beschäftigt, zeigt ein Blick auf das vielschichtige Werk dieser Künstlerin, die selbst (1975 in Pforzheim geboren) zwischen Stuttgart, Marseille und Rabat pendelt und bereits seit vielen Jahren weltweit unterwegs ist. So sind Orts- und Perspektivwechsel das zentrale Thema ihrer Arbeit.
Damit steht sie in einer langen Tradition reisender Künstler, die, angefangen mit den Impressionisten – vor allem die kolonialisierte Welt erkundeten. In diesen Reisen zu „ursprünglichen“ und scheinbar „unverbildeten Naturvölkern“ äußerte sich im 19. und frühen 20. Jahrhundert jedoch nicht nur die Sehnsucht nach Exotik und unverbrauchten Bildthemen, wie beispielsweise in den Werken von Paul Gauguin, sondern die kritische Auseinandersetzung mit den Rahmenbedingungen der eigenen bürgerlichen Existenz. Auf das Fremde wurde das projiziert, was man selbst nicht (mehr) besaß, sich aber wünschte. Diese Perspektive zeugt von kolonialen Herrschaftsverhältnissen, die bis heute das Selbstverständnis der ehemaligen Kolonialmächte ebenso prägen wie das ihrer Kolonien.
Und hier setzt Katrin Ströbels künstlerische Arbeit an:
In Die hellere Färbung steht die Hautfarbe als Zeichen gesellschaftlicher Prägung und Differenz im Fokus. Dabei offenbaren die zitierten Aufzeichnungen eines Missionars nicht nur den Herrschaftsblick und damit die Bewertung einer fremden Kultur, sondern zeigen auch, dass die Eingeborenen mit wissenschaftlichem Interesse studiert und nur bedingt als Mitmenschen betrachtet wurden. Am Ende der Hierarchie steht die Frau als Objekt, das „Weib“ des Häuptlings, das eingesperrt wird, um eine hellere und damit „vornehmere“ Hautfarbe zu erlangen. Sie ist das Prestigeobjekt, das er den Weißen stolz vorführt, wie sein Haus. Die Künstlerin konterkariert diesen Text durch eine Fotografie, die sie bei einem Straßenfest in Marseille aufgenommen hat – mit Kindern, die sich mit Farbpigmenten bewerfen, um so ihre Hautfarbe nach Lust und Laune zu wechseln.

Ein weiteres historisches Zitat begegnet uns in Wohl dem, der nichts ahnt, einer Rauminstallation, in der Ströbel Plastikplanen zu einem Segel gespannt hat, bestickt mit einem goldenen Schriftzug, der im Geiste wilhelminischer Großmachtphantasien dem Wunsch Ausdruck gibt, über der Südsee die deutsche Flagge wehen zu sehen. Nicht zufällig setzt die Künstlerin diesen nationalistischen Anspruch in altdeutscher Schrift auf ein Material, das in Form von Mehl- und Reissäcken massenhaft im afrikanischen und arabischen Raum zu finden ist und so gleichsam als international besetztes Medium funktioniert.
Die im selben Zitat formulierte „Kannibalenfurcht“ (wohlgemerkt aus dem Jahr 1916!) berührt Ströbels zweites Hauptthema in diesem Raum: Die Angst vor dem Fremden, dem Anderen, dem Unbekannten. Von der Ohnmacht gegenüber den Kräften und Gräben zwischen fremden Kulturen (wie in ihrer 2-teiligen Videoarbeit Mission Impossible) bis hin zur tödlichen Angst vor Überfremdung, wie sie sich in der Deutschlandreise darstellt – wo die Künstlerin eine Strecke zwischen den Orten gezogen hat, an denen in den 1990er Jahren Brandanschläge auf Asylunterkünfte verübt wurden: Hoyerswerda und Mölln, Solingen und Lichtenhagen. Geblieben sind die Bilder ausgebrannter Häuser und verkohlter Fassaden, die Ströbel mit dieser Wandarbeit in fein ausgearbeiteten Aquarellen wieder wachruft. Sie bezieht sich dabei auf Pressebilder, die vielen im Gedächtnis geblieben sind, während die Namen und Gesichter der Opfer ausgeblendet wurden.

Es sind die Spuren und Narben, die der Verlust der Heimat hinterlässt, und denen sich die Künstlerin mit besonderem Interesse zuwendet. Spuren, wie die zerstörten Flüchtlingsheime, aber auch Spuren, die sie auf Grabsteinen chinesischer Einwanderer in Australien ausfindig gemacht hat. Als Frottagen auf hauchdünnem Papier hat sie die Inschriften vor Ort festgehalten – fragil und flüchtig, wie die Identitäten, die bei der Anpassung an die neue englischsprachige Kultur auf der Strecke geblieben sind.
Zeichen menschlichen Lebens, Spuren eines Daseins außerhalb heimatlicher Geborgenheit dokumentiert die Künstlerin auch in ihrer Fotoserie Wherever I lay my Head. Es ist ein unscheinbares Bild: ein Koffer, abgestellt, versteckt hinter einem Baum. Nichts mehr und nichts weniger. Und doch ist es ein programmatisches Bild, das die Thematik von Katrin Ströbel im Kern zusammenfasst: Der Koffer als Sinnbild für die Präsenz und die Existenz von Menschen, die unterwegs sind. Das Versteck hinter dem Baum legt nahe, dass es sich um eine unfreiwillige Reise handeln muss – an Orte, wo die blanke Not die Reisenden zum Leben auf der Straße zwingt. Und doch geht es hier nicht darum, menschliches Leid festzuhalten, vielmehr richtet die Künstlerin ihren Blick gerade auf die Winkel und Nischen, in denen Menschen mit geringsten Mitteln ein kleines Maß an privatem Raum für sich eingenommen haben, indem sie ihre Habseligkeiten auf Bäumen oder in Kofferverstecken und Schlafplätzen zwischen Mauernischen unterbringen. Für Ströbel sind sie allesamt Zeugnisse von Entbehrung und zugleich Bilder von ganz eigener ästhetischer Kraft und Ausstrahlung.

Dass die Künstlerin in ihren Werken keine Anklage vorbringt, sondern mit besonderer Sensibilität auch zu den Stellen vordringt, an denen kulturelle Begegnungen und internationale Beziehungen blühende und phantasievolle Zeichen setzt, offenbart sich in ihrer Wandinstallation Import / Export: Einfache bunte Plastiktüten, wie sie weltweit im Einsatz sind, wählt Ströbel hier als Bildträger für einen wahren Kosmos aus Werbemotiven afrikanischer, chinesischer, libanesischer, französischer oder auch japanischer Ladengeschäfte, Restaurants und Cafés, wie sie in Paris an jeder Straßenecke zu finden sind. Die Künstlerin durchsetzt sie mit französischen Buchtiteln – Nationalikonen, wie Antoine de Saint-Exupérys „Kleinem Prinzen“, allerdings in der arabischen Ausgabe. Oder auch Paul Celans Gedichtzeile „(Der Tod ist) ein Meister aus Deutschland“. Dazwischen erscheinen immer wieder auch Porträtzeichnungen, Heiligenbilder und Produktlabels, die Ströbel sorgfältig von Hand auf die dünne Plastikhaut gezeichnet hat.
Dass sie die symbolischen Qualitäten dieser Tüten schätzt, zeigt sich auch an ihrer Videoarbeit Le flâneur. Eine dünne blaue Plastiktüte ist die „Flaneurin“ in diesem Video. Wir beobachten sie dabei, wie sie den Winkeln, Wegen und Straßenzügen durch eine Stadt folgt, immer nah am Boden – wie eine Spaziergängerin, die getrieben vom Wind dann und wann stehen bleibt, um mit dem nächsten Luftzug weiterzuziehen, immer unterwegs, ohne irgendwo länger zu verweilen. Ein poetisches Bild und eine Metapher, die der Härte des Lebens – wenigstens für kurze Momente eine eigene Leichtigkeit abgewinnt.

Doch anders als die vom Wind bewegte Tüte, werden wir selbst auf unseren Streifzügen durch fremde Städte und Straßen auch vom Blick derer begleitet, die uns begegnen: Menschen mit anderer Hautfarbe, fremder Kultur und einem Blick auf uns, der uns vielleicht irritiert. Aus philosophischer Sicht (Sartre) betrachtet, eröffnet sich aber gerade erst über den Blick die Existenz des Menschen als soziales Wesen, d.h. um zu existieren, sind wir auf unsere Mitmenschen angewiesen – unser Leben vollzieht sich in Bezug auf die Anderen und bedarf immer wieder der Bestätigung. Je geringer aber diese Anerkennung durch den Blick ausfällt, umso mehr kommt unsere eigene Identität ins Wanken. Je weniger wir unser Gegenüber wahrnehmen und kennen, desto mehr bleiben wir einem starren Selbstverständnis verhaftet.
Diese Blickverhältnisse stellt Ströbel in den oberen Räumen zur Diskussion. So kommt die Verunsicherung über die „Anderen“ in einer zweiteiligen Papierarbeit zum Ausdruck, in der die Künstlerin uns eine Zeitungsseite (aus dem Jahr 2006) präsentiert, auf der vollflächig ein Artikel über den Islam unter dem Titel Der unbekannte Feind erschienen ist – illustriert mit einem Auszug aus dem Koran, der peinlicherweise falsch herum abgedruckt war. Wer unter diesen Umständen der „unbekannte Feind“ ist, bleibt demzufolge offen. Die Absurdität dieser Haltung äußert sich außerdem in einem Bild von Flugzeugen, die über Hochhäuser fliegen und sich musterhaft wiederholen. So wird die scheinbar unaufhaltsame Gefahr, die wir spätestens seit dem 11. September mit diesem Bild verbinden, zum unendlich reproduzierbaren Rapport ohne Inhalt.

Neben den Ergebnissen undifferenzierter Panikmache in den Medien und den Folgen einer unaufgearbeiteten Kolonialpolitik bringt Ströbel in den oberen Räumen auch das damit verbundene, problematische Frauenbild ins Spiel.
Die farbige Frau als Inkarnation des „Anderen“ ist nicht nur Projektionsfläche männlicher Phantasien, sondern Verkörperung des Exotischen wie des Bedrohlichen gleichermaßen.
In ihrer Arbeit Reversion kehrt Katrin Ströbel den Spieß um und konfrontiert uns mit einem Spiegelbild, das unsere eigene Reflexion überlagert – mit dem Bild eines Eingeborenen-mädchens, das uns als „Weiße“ gegenübersteht. Dabei treffen wir unseren eigenen Blick und müssen zugleich den ihren aushalten. Es ist ein melancholischer Blick, wie wir ihn von Fotografien kennen, auf denen Eingeborene vorgeführt und präsentiert wurden wie exotische Tiere. Wenn uns das Mädchen auf Ströbels Spiegel nun als „Weiße“ in Lebensgröße begegnet, kehrt sich dieses Verhältnis um und wir sind gezwungen, uns mit ihrem Blick auch ihrer Einschätzung auszusetzen.

Unter diesen Gesichtspunkten steht für Ströbel auch ihr Status als Künstlerin zur Diskussion, insofern sie als weiße, privilegierte Frau in außereuropäischen Ländern eine Position einnimmt, die immer bereits durch koloniale und historische Verbindungen vorbelastet ist.
In der vielschichtigen Installation Wenn man dienen kann verschränkt Ströbel historische Darstellungen von Künstlerinnen beim Zeichnen oder Malen mit Textauszügen, in denen „die Fremde“ erneut mit der kolonialen Brille wahrgenommen wird. Einen unvoreingenommenen Blick gibt es nicht. Was diese weißen Frauen bei ihrem künstlerischen Studium exotischer Länder antreibt, ist eine missionarische Haltung , die grundsätzlich davon ausgeht, dass sie sie es mit “wilden, unbekannten Gegenden” zu tun haben, die der zivilisierten Welt als das “Andere” gegenüberstehen und die sich glücklich schätzen können, wenn sie in den Genuss westlicher Kultur kommen.

Darin liegt schließlich die besondere Brisanz und Qualität von Ströbels Arbeiten: dass sie uns mit ihren Texten und Bildern sensibilisiert für Missverhältnisse, die höchst aktuell sind, aber ihre Ursachen in einer menschenverachtenden Kolonialpolitik haben, deren Aufarbeitung bis heute nicht oder nur unzureichend stattgefunden hat.
Colonize my Mind ist der Titel dieser Ausstellung und sämtliche Werke darin arbeiten daran, die Brüche sichtbar zu machen, die entstehen, wenn das aus kolonialen Herrschaftsverhältnissen hervorgegangene Überlegenheitsdenken zur natürlichen Überzeugung geworden ist. In dem Moment, in dem die Kolonialisierung unser Denken durchdringt, in dem wir kolonialistische Denkweisen verinnerlicht haben, ist sie am Ziel!
Die Flüchtlingskrise führt uns die unaufhaltsamen Konsequenzen dieser Politik krass vor Augen. Und doch sind Katrin Ströbels Bilder und Räume voller Poesie und zeugen von einem Sinn für das Schöne, das im Detail steckt und das menschliche Leben auch oder gerade dann noch bestimmt, wenn es sich um erträumte Vorstellungen handelt.
Die Tropen sind so eine Traumlandschaft, und Ströbel inszeniert sie in ihrer ganzen Pracht im letzten Raum des Obergeschosses. Hier präsentiert sie das von Ventilatoren bewegte Bild der senegalesischen Urlaubsinsel Ile de Gorée. Doch auch diese perfekte Urlaubskulisse hat ihre Tücken und so erweist sich die Palmenidylle als letzte Station auf afrikanischem Boden, von der aus die Sklaven in die USA verschifft wurden.

Für den Innenhof hat Katrin Ströbel eine Bild-Text-Serie entwickelt, die sich unter den Arkaden wie ein poetischer Film entfaltet: Das Leben als Transitzone... im Übergang begriffen... mit zwischenmenschlichen Begegnungen... einem Kuss, einem Handschlag... immer begleitet von der Frage, ob sie Zeichen eines Anfangs oder Endes, einer Begrüßung oder eines Abschieds waren. Und immer wieder der Aufenthaltsort – Ort der Begegnung oder der Trennung? Fluchtpunkt oder Heimat? Sind wir aus Versehen oder mit Absicht hier gelandet? Bringt er Glück oder Schmerz oder das Paradies? Am Ende, nach dem Transit, nach der Übergangszeit steht jedoch nicht die Heimat, sondern das Exil...

Andrea Jahn

Text veröffentlich in: Stadtgalerie Saarbrücken: Katrin Ströbel, Colonize my mind, 2016

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