Toubab – oder der gespiegelte Blick

Elegant geschwungene arabische Schriftzeichen, die die Vitrinen des historischen
Kornhauses einer schwäbischen Kleinstadt zieren – das wirft Fragen
auf. Ist hier etwa ein Souk eingezogen? Oder ein orientalisches Café? Katrin
Ströbels Arbeiten irritieren. Wecken Assoziationen, die von der faszinierenden
Märchenwelt des Morgenlands bis hin zur ungreifbaren Angst vor einer wie
auch immer gearteten islamistischen Bedrohung reichen können – und führen
uns als Betrachter doch subtil in die Irre. Wenn sich nämlich erweist, dass die
vermeintlich exotischen Worte auf den Scheiben Einigkeit, Recht und Freiheit
bedeuten (Abbildungen S. 15, S. 33 und S. 41), fühlen wir uns auf unsere eigene
kulturelle Identität mit ihrer nicht weniger brisanten Ambivalenz zurückgeworfen.
Zugleich konfrontiert uns die Symbiose eines vertrauten Inhalts mit
der fremden Form unmittelbar und unerwartet mit den Stereotypen, die uns
gewöhnlich den Blick auf das uns Unbekannte verstellen.

Katrin Ströbel ist als Künstlerin viel unterwegs und bereist bevorzugt den
arabischen Raum, Afrika und Europa. In ihren Ausstellungen und Publikationen
gewährt sie dem Betrachter Einsichten in ihr Tun, indem sie ihre eigenen
Erfahrungen mit dem „Blick auf das jeweils Fremde“ verfügbar macht. Doch
nicht in Form von Eins-zu-eins-Darstellungen. Vielmehr in Anordnungen, die es
erlauben, mittels der Wahrnehmung selbst in die Reflexionsprozesse einzusteigen.
Oft bedient sich Katrin Ströbel neben visuellen auch sprachlicher Zeichen. Etwa
im Falle einer Dollarnote mit einem arabischen Schriftzug (Abbildung S. 27),
die das gesamte Assoziationsfeld des schwierigen Verhältnisses von Orient und
westlicher Welt auf den Plan ruft, bis man begreift, dass die arabischen Worte
nichts anderes bedeuten als das ersetzte Original – In God We Trust. Ein Zitat
aus dem Koran übrigens, das man in der Bibel vergeblich sucht, was wiederum
die Frage aufwirft, welcher Kultur das Motto nun eigentlich ursprünglich angehört.
Katrin Ströbel begnügt sich aber nicht mit der Untersuchung des europäischen
Blicks auf das Fremde. In dem Video L’autre côté (Abbildung S. 16/17)
beispielsweise wird das Problemfeld aus der Sicht des Migranten gezeigt. Ein
schon einige Jahre illegal in Frankreich lebender Algerier beschreibt darin sein
Herkunftsland in Erinnerungen und Projektionen und konstruiert so ein
verklärtes Heimatbild, das mit der Realität vermutlich nur wenig gemein hat.
Im Parallel-Video berichtet ein auf afrikanischer Seite verbliebener Senegalese
von der illegalen Überfahrt seines Bruders nach Spanien und entwirft das Bild
eines fernen Europas, das sich ausschließlich auf fremde Berichte sowie eigene
Vorstellungen gründet. Das wogende Mittelmeer, das Europa und Afrika ebenso
trennt wie verbindet, ist auf beiden Monitoren zu sehen und wird zum Sinnbild
für die Hoffnung auf den Aufbruch zu neuen Ufern und zugleich für dessen
Unmöglichkeit.

Stereotypen, Projektionen, Sehnsüchte: Das Unwissen über die jeweils andere
Kultur birgt Zündstoff für Missverständnisse in beide Richtungen. Die intensive,
kontrastreiche Farbigkeit von Katrin Ströbels großen gemusterten Stoffbahnen
etwa bedient alle europäischen Klischees von westafrikanischer Folklore. Mit
ihren aufgenähten Schriftzügen könnten sie einem „Afro-Workshop“ entstammen,
in dem der westlichen Sehnsucht nach dem scheinbar „Authentischen“
gefrönt wird. Nur den wenigsten ist bewusst, dass viele der Stoff e längst aus
Holland importiert werden. Wenn man erfährt, dass es sich bei den Beschriftungen
um Worte aus verschiedenen afrikanischen Sprachen handelt, die alle – auf
mehr oder weniger despektierliche Art – den „Weißen“ bezeichnen, wird aber
klar, dass hier auch der stereotype Blick auf den Europäer nicht fehlt.
Beide Seiten sind einander zunächst fremd. Und dennoch besteht Hoffnung:
Auf einer der Postkarten aus der Arbeit Bitim Reew (Wolof: Fremdes Land)
wird der Schriftsteller und Journalist Alain de Botton mit den Worten zitiert:
„Was wir im Ausland exotisch finden, ist vielleicht genau das, wonach wir uns
zu Hause vergeblich sehnen.“ Auch wenn uns die Realität oft anderes zu lehren
scheint, gibt es offensichtlich einen echten Grund, eine drängende Sehnsucht,
dem jeweils Fremden zu begegnen. Vielleicht hängt diese Sehnsucht ja mit
Arthur Rimbauds berühmten Worten „Car je est un autre“ („Denn ich ist ein
anderer“) zusammen, die dann bedeuten würden, dass wir ohne den fremden
Blick, in dem wir uns spiegeln und auf immer neue Weise anders sehen, gar
nicht wir selbst sein könnten. So betrachtet wären die Arbeiten von Katrin
Ströbel ein „Übungsfeld“, ein Versuch, den Blick geschmeidig zu machen, eigene
und fremde Stereotypen zu erkennen, sich auf Experimente in der Begegnung
mit dem Anderen einzulassen und in einen lebendigen Prozess einzusteigen,
der vielleicht nicht nur das Bild vom Anderen ändert, sondern auch den Blick
auf sich selbst.

Winfried Stürzl

Text veröffentlicht in: Toubab, 2012

Back